Arbeitszeit erfassen

Die Arbeitszeit verlängert „sich“ scheinbar oder wirklich unkontrolliert. Die Unternehmen steuern die Kolleginnen und Kollegen indirekt über die Einrichtung von „Umwelten“. Diese Steuerung bleibt den Kolleginnen und Kollegen unbewusst. Sie führt dazu, dass sie die Kolleginnen und die Kollegen auf die „Umwelt“ reagieren müssen,. Die Teammitglieder beschließen daher entsprechende Maßnahmen und wollen sie umsetzen. Um das zu erreichen, müssen sie nicht selten die geregelte Arbeitszeit überschreiten. Sie arbeiten länger als tariflich vereinbart, als rechtlich müssten und als gesundheitlich zuträglich. Das scheint aber kein Problem zu sein. Denn die Kolleginnen und Kollegen wollen es ja so. ist, dann scheint das insofern kein Problem zu sein: Sie werden kaum gegen sich selbst klagen.

Das Unternehmen ist zunächst außerhalb der Schusslinie. Die Unternehmen verlangen die Einhaltung der tariflichen Arbeitszeit. Mehrarbeit findet nur statt, wenn die Führungskraft sie ausdrücklich anordnet. Das tut sie selbstverständlich nicht oder nur im Notfall. Das soll selbstverständlich nicht heißen, dass die Kolleginnen und Kollegen keine Mehrarbeit mehr leisten sollen. Sie sollen sie nur nicht mehr erfassen. Dann brauchen die Unternehmen sie auch nicht zu bezahlen.

Die Unternehmen verlassen sich mit Recht auf die Unbewusstheit der Mechanismen der Teamarbeit. Sie verlassen sich auf den Druck, den die Kolleginnen und Kollegen gemeinsam auf die einzelnen Teammitglieder ausüben. Dieser Druck ist so groß, dass er sich gegen die formellen Rechte der Kolleginnen und Kollegen in der Regel durchsetzt. Es entsteht eine informelle wirkliche Arbeitsrealität. Die Abweichung dieser informellen Arbeitsrealität von den formellen Regelungen wollen die Unternehmen nicht beseitigen. Im Gegenteil: Sie wollen sie nutzen.

Warum die Arbeitszeit realitätsgerecht erfassen?

Soll man dann für die Erfassung der tatsächlichen Arbeitszeit kämpfen? Ist das nicht verlorene Liebesmüh‘, wenn die Kolleginnen und Kollegen das gar nicht wollen? Die Erfassung der Arbeitszeit war doch ursprünglich eine Aktion der Unternehmen. Sie wollten kontrollieren, ob die Kolleginnen und Kollegen bei der Arbeit sind. Dann wurde sie gleichermaßen zu einer Aktion der betrieblichen Interessenvertreter. Sie wollten kontrollieren, ob sich die Unternehmen unentgeltlich Mehrarbeit aneignen. Auf diese Weise wollten Die Betriebsräte die Kolleginnen und Kollegen schützen. Da die kapitalistischen Unternehmen auf unentgeltlich angeeignete Mehrarbeit aus sind, war und ist eine Kontrolle der tatsächlichen Arbeitszeit im Interesse der Kolleginnen und Kollegen. Sie wollen ihre Arbeitszeit nicht an das Unternehmen verschenken.

Aber nun wollen sie ja doch ihre Arbeitszeit verschenken. Sollen sie ihre Arbeitszeit etwa erfassen, um dem Betriebsrat einen Gefallen zu tun? Das ist keine gute Idee. Im Gegenteil ist es notwendig, die Arbeitszeit nicht nur als Individuum zu erfassen, sondern sich auch im Team gemeinsam mit der Arbeitszeit zu befassen. Denn die Unternehmensleitungen nutzen die Teamprozesse, um die tatsächliche Arbeitszeit verschwinden zu lassen. Nun könnte man sagen: Wer das zulässt, ist selbst schuld. Aber dann lässt man die Kräfte, die die Teamdynamik bestimmen, außer Acht . Zudem individualisiert man das Problem. Aber die Teammitglieder werden als Gesamtheit unter Druck gesetzt und setzen dann ihrerseits die einzelnen Teammitglieder unter Druck. Also sorgen „wir“ – teils mittelbar, teils unmittelbar – unfreiwillig dafür, dass die Teammitglieder ihre Arbeitszeit ausdehnen und das nicht erfassen.

Die Verantwortung für die Zusammenarbeit übernehmen…

Schließlich wird es unmöglich, einzuschätzen, wieviel Arbeitszeit tatsächlich für bestimmte Arbeiten eingeplant werden müssen. Den Kolleginnen und Kollegen geht die Kontrolle umso mehr verloren, je mehr sich die informelle Arbeitszeit von der formellen unterscheidet. Dieser Kontrollverlust äußert sich in einer Vermehrung des Drucks der Gruppe auf die einzelnen Mitglieder, ihre Arbeitszeit zu verlängern. Deswegen ist es letztlich unbedingt erforderlich, die Arbeitszeit realitätsgerecht zu erfassen. Die Frage ist nur, wie lange die Kolleginnen und Kollegen damit warten wollen. Je mehr die Teams die Unternehmerfunktionen an sich ziehen, desto wichtiger ist es, dass die Kolleginnen und Kollegen die damit verbundene Verantwortung sich selbst und den Anderen gegenüber bewusst wahrnehmen. Diese Verantwortung können sie nur in dem Maße wahrnehmen, in dem sie sich der tatsächlichen Lage stellen. Dann können sie beginnen, die gemeinsame Arbeit so zu bearbeiten, dass sie nach und nach den Rechten der Kolleginnen und Kollegen und den gesundheitlichen Erfordernissen entspricht.

… kann man nur gemeinsam

Kann das nicht jeder und jede für sich selbst klären? Nein, das geht nicht, weil jeder und jede in der Zusammenarbeit zugleich Maßstäbe für Andere setzt. Deswegen ist wichtig, dafür zu sorgen, dass die Kolleginnen und Kollegen die formellen Rechte und die gesundheitlichen Erfordernisse in der Zusammenarbeit gemeinsam umsetzen. Das kann aber nur gelingen, wenn sie sich gemeinsam Rechenschaft darüber ablegen, wie lange sie für welche Arbeit brauchen. Damit wird dann auch sichtbar, wieviel Arbeitszeit sich die Unternehmen unentgeltlich aneignen. Zugleich können die Kolleginnen und Kollegen damit beginnen, ihre Arbeit so zu bearbeiten, dass dabei ihre Rechte und Gesundheit berücksichtigt werden. Nach und nach können dann auch andere gesellschaftliche Anforderungen in die Bearbeitung der gemeinsamen Arbeit einfließen.