Grundgedanke

Wann wurde die Theorie der indirekten Steuerung entwickelt und was war der Grundgedanke? Der Grundgedanke der Theorie der indirekten Steuerung hat sich im Laufe der Zeit geändert – wie sich ja auch die Management-Formen und Führungstheorien weiterentwickelt haben.

Ausgangspunkt

Ausgangspunkt war in den 90er Jahren das veränderte Verhalten der Unternehmen zu Beschäftigten. Diese Veränderungen analysierten der Philosoph Dr. Klaus Peters, Wilfried Glißmann (damals Vorsitzender bei IBM Düsseldorf) und Stephan Siemens – insbesondere bei IBM Düsseldorf. Klaus Peters sah die Aufgabe der indirekten Steuerung darin, die Dynamik der Selbständigkeit in abhängige Beschäftigungsverhältnisse hineinzutragen. Er fragte sich: Wie gelingt es Unternehmen, ihre Beschäftigten dazu zu bringen, wie selbständige Unternehmer zu handeln? Die Antwort war: Das gelingt, indem der Arbeitgeber marktähnliche Rahmenbedingungen schafft. Dadurch sind die Beschäftigten gezwungen, wie selbständige Unternehmer zu handeln. Klaus Peters sprach daher von „selbständigen Unselbständigen“.

Die Konfrontation mit dem Problem der Befreiung

Dem liegt seines Erachtens eine Entwicklung der Produktivkraft der Beschäftigten zugrunde. Die indirekte Steuerung in den Unternehmen stellt zwar nicht schon die Befreiung der Beschäftigten dar. Aber sie zeigt: Das Problem der Beschäftigten ist nicht in erster Linie die Hierarchie in den Unternehmen.  Die Hierarchie verdeckt nur das eigentliche Problem der Beschäftigten: Ihre tatsächliche Unfreiheit.

Freiheit oder Unfreiheit

Solange man in hierarchischen Strukturen lebt, kann man sich vorstellen, dass die eigene Unfreiheit am Vorgesetzten liegt. In Wirklichkeit aber ist es umgekehrt. Weil die Beschäftigten unfrei sind, deswegen haben sie einen Vorgesetzten. Beseitigt man den Vorgesetzten, so beseitigt man keineswegs die Unfreiheit. Allerdings beseitigt man den Eindruck, dass die Unfreiheit daran liege, dass es einen Vorgesetzten gibt. Die wirkliche Befreiung der Beschäftigten hat die Erkenntnis der indirekten Steuerung zur Voraussetzung. Die indirekte Steuerung widerspricht demnach also ihrem Begriff: Sie funktioniert auf die Dauer nur, solange sie unbewusst bleibt. Denn solange gelingt es den Arbeitgebern durch die Einrichtung der Rahmenbedingungen zu bestimmen, was die Beschäftigten wollen. In diesem Sinne wollen die Beschäftigten von selbst, was sich aus den Rahmenbedingungen ergibt.

„Woher weiß ich, was ich selber will?“ fragt Klaus Peters

Daraus ergibt sich für die einzelnen Kollegen die Aufgabe, sich bewusst zu machen, was sie wirklich wollen. Jeder Kollege, jede Kollegin kann und muss sich letztlich fragen: „Was bestimmt mich in dem, was ich will“. Nur dann werden die Kolleginnen und Kollegen nicht mehr durch Prozesse bestimmt, die hinter ihrem Rücken ablaufen. Erst dann können sie durch gemeinsame Reflexion der Prozesse lernen, selbst zu bestimmen, was sie jeweils wirklich wollen. Daraus ergibt sich die erforderliche Veränderung: Aus der Unterordnung unter Prozesse, die sich von selbst abspielen, durch Reflexion heraustreten. In diesen Prozessen bestimmen die Unternehmen vermittelt über die Rahmenbestimmungen, was die Beschäftigten wollen. Durch Reflexion sollen Prozesse herausgearbeitet werden, in denen die Beschäftigten selbst bewusst bestimmen, was sie wollen. Auf diese Weise werden sie sich auch Einfluss auf die Rahmenbedingungen erkämpfen und sich die Rahmenbedingungen mehr und mehr unterwerfen – anstatt ihnen unterworfen zu sein.

Managementkonzepte analysieren

Was Klaus Peters nicht so sehr für erforderlich hält, ist, diese Prozesse und ihre Gestaltung durch die Rahmenbedingungen konkret zu untersuchen. Solche Untersuchungen hat Wilfried Glißmann unternommen, indem er die Management-Literatur analysierte. Oft gelang es ihms, die konkreten Maßnahmen in den Unternehmen aus den Lehrbüchern von Managern verständlich zu machen. Damit zeigte er auf, dass hinter den – zunächst sinnlos erscheinenden – Handlungen der Unternehmensleitungen ein System steckt, das funktioniert und den eigenen Ansprüchen auch gerecht wird. Dieses System ist die indirekte Steuerung. Dass das Handeln der Unternehmensleitungen durchaus rational ist, auch wenn es auch nicht so erscheint (und nicht so erscheinen soll). So analysierte er die Umsetzung der indirekten Steuerung in den Management-Konzepten.

Die sogenannte „interessierte Selbstgefährdung“

Aus dem Gesichtspunkt der Arbeitsorganisation hat Dieter Sauer die Prozesse und Gestaltung der indirekten Steuerung analysiert. Er bestimmte die „Vermarktlichung“ und die „Finanzialisierung“ als entscheidende Mittel, um die Rahmenbedingungen in den Unternehmen der indirekten Steuerung entsprechend zu „gestalten“. Mit den Konsequenzen der indirekten Steuerung für die einzelnen Beschäftigten setzten sich Klaus Peters und Andreas Krause auseinander. Sie entwickelten die Diagnose der „interessierten Selbstgefährdung“, wonach die Individuen ihrer unternehmerischen Initiative oft sowohl ihre Gesundheit als auch ihre Entwicklung opfern. Dieser Tendenz können die einzelnen Beschäftigten durch Selbstbesinnung auf das, was sie eigentlich wollen, entgegenwirken

Die Bearbeitung der gemeinsamen Arbeit

Stephan Siemens war in der ersten Phase der Entwicklung der Theorie beteiligt, trennte sich aber 2001 von Klaus Peters und Wilfried Glißmann. Danach wendete er sich den Formen der neuen Organisation der Arbeit zu: Wie werden sie konkret erforscht? Wie setzen die Unternehmen die indirekte Steuerung aus der Sicht der Beschäftigten um? Die Arbeits- und Organisationspsychologie rückte in den Vordergrund. Teambildung, die Grundlagen der Gruppendynamik und die Veränderung der Führung erwiesen sich als wesentliche Mittel der indirekten Steuerung.

Produktivkraftentwicklung

Stephan Siemens bestimmte den konkreten Schritt in der Produktivkraftentwicklung der gesellschaftlichen Arbeit: Die Kolleginnen und Kollegen bearbeiten ihre gemeinsame Arbeit in den unternehmerischen Einheiten. Damit setzen sie sich in der Arbeit selbst mit dem gesellschaftlichen Sinn ihrer Arbeit auseinander. Dieser Sinn drückt sich in kapitalistischen Unternehmen in der Profitabilität aus, in sozialen Einrichtungen in Kosteneinsparungen. Außerhalb der Unternehmen und Einrichtungen kommt dieselbe Entwicklung in der sogenannten gemeinwohlorientierten Arbeit zum Ausdruck.

Die Arbeits- und Organisationspsychologie

Die Arbeits- und Organisationspsychologie untersucht seit den 40er Jahren, wie die Rahmenbedingungen die Beschäftigten bestimmen. Es werden Formen entwickelt, die Kolleginnen und Kollegen unter Druck zu setzen. Psychologische Gesetzmäßigkeiten ermöglichen nicht nur die Erhöhung des Drucks. Sie bringen zugleich die Maßnahmen zum Verschwinden, die zu diesem Druck führen. Das hat bestimmte Konsequenzen.

Der Zusammenhang mit psychischen Belastungen

Stephan Siemens analysierte anfangs den Zusammenhang zwischen psychischen Belastungen und Burnout mit den neuen Formen der Arbeitsorganisation. Die Unternehmen passen sich an den Fortschritt der Produktivkraft der gesellschaftlichen Arbeit an, um ihn für sich zu nutzen. Vor allem verändert sich die veränderte Konzeption von Führung. Die Unternehmen nutzen auch bestimmte Teamprozesse, um die indirekte Steuerung umzusetzen. Diese Prozesse werden in der Arbeits- und Organisationspsychologie erforscht und aufbereitet.

Auswirkungen der indirekten Steuerung

Daraus lassen sich dann die Auswirkungen der indirekten Steuerung auf die Arbeitszeit ableiten: Indirekte Steuerung führt zu erheblich längeren Arbeitszeiten, die überdies nicht erfasst werden. Indirekte Steuerung führt aber auch zu psychischen Belastungen der Kolleginnen und Kollegen und bei unteren und mittleren Führungskräften. Die Beziehungen im Team werden belastet mit dem unternehmerischen Zweck. Das führt zu emotionaler Erschöpfung bis hin zum Burnout, wenn sich die Kolleginnen und Kollegen nicht bewusst abgrenzen können. Widersprüchliche Anforderungen sind bei den Führungskräften die wichtigste Ursache für psychische Belastungen.

Gewerkschaftliche Organisation ist notwendig

Stephan Siemens begründet daraus die Notwendigkeit gewerkschaftlicher Organisation der Kolleginnen und Kollegen. Allein kann man sich nicht erfolgreich gegen indirekte Steuerung behaupten. Gegen die Organisation der Arbeit durch den Arbeitgeber hilft nur die eigenständige Organisation der Kolleginnen und Kollegen. Gewerkschaftliche Bildungsarbeit erlaubt die Reflexion der Prozesse, die die indirekte Steuerung nutzt. Auf diese Weise können sich die Kolleginnen und Kollegen entsprechend qualifizieren. Stephan Siemens entwickelt einen konkreten Vorschlag zur Durchführung der Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungen, mit dem die indirekte Steuerung bewusst gemacht werden kann. Ein Werkzeug dazu ist die Teamanalyse der indirekten Steuerung.

Den Interessengegensatz wieder sichtbar machen

Zudem bringt die indirekte Steuerung den Interessengegensatz zwischen Arbeitsgeber und Arbeitnehmern scheinbar im Bewusstsein zum Verschwinden. Das trifft jedoch nicht zu. Der Interessengegensatz besteht weiter, er äußert sich nur anders. Er tritt unmittelbar als persönlicher Konflikt zwischen Teammitgliedern in Erscheinung. Analysiert man diese Konflikte, so erweisen sie sich meist als Resultat der indirekten Steuerung. Da sie jedoch unbewusst bleibt, wird das nicht unmittelbar sichtbar. Das ist die vielleicht eindrucksvollste „Leistung“ der Arbeits- und Organisationspsychologie, dass sie objektive Interessengegensätze auf subjektive Meinungsverschiedenheiten und Gefühle reduziert. Aber wer diesen Gefühlen und Meinungsverschiedenheiten nachgeht, erkennt darin darin das Wirken des Interessengegensatzes. So gelingt es, die indirekte Steuerung zu analysieren und zu verstehen, wie sie den Interessengegensatz aus dem Bewusstsein zum Verschwinden bringt.