Entwicklung der Theorie der indirekten Steuerung

Die Entwicklung der Theorie der indirekte Steuerung begann in einem Arbeitskreis über Selbstorganisation und erfuhr verschiedene Weiterentwicklungen.

Der genannte Arbeitskreis war beim Bund demokratischer Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen und beim Verein Cogito angesiedelt. Inhaltlich federführend war Klaus Peters. Organisatorisch hatte Jörg Stadlinger den Hut auf. Für die Anbindung an die betriebliche Realität sorgte Wilfried Glißmann, damals Betriebsratsvorsitzender bei IBM Düsseldorf. Zudem bearbeitete er die Management-Literatur. Eine Position im Umfeld von Niklas Luhmann vertrat Gerd Wohlandt. Außerdem arbeiteten u.a. Eva Parusel, Michael Paetau, Marianne Schwenk, Stephan Siemens an dem Arbeitskreis mit.

Nach dem Arbeitskreis zur Selbstorganisation …

Der Arbeitskreis begann mit der Bearbeitung von Texten zur Selbstorganisation von Kant, Haken und Prigogine. Er befasste sich mit der Bearbeitung der gemeinsamen Arbeit anhand von festgelegten Kriterien. Fragen, die in diesem Arbeitskreis eine Rolle spielten, waren: Wie verhalten sich zirkuläre Strukturen und dialektische Logik zueinander? Was bedeutet in welchem Zusammenhang der Begriff „selbst“? Bestimme ich „selbst“, was geschieht, oder bestimmen sich die Prozesse „von selbst“? Heißt Autonomie, dass die Menschen sich selbst ein Gesetz und also frei sind? Oder bedeutet Autonomie, dass die Prozesse autonom sind, denen die Menschen unterworfen sind? Dieser Arbeitskreis arbeitete bis zum Jahr 2000.

… trennten sich die Wege

Danach ergaben sich verschiedene Weiterentwicklungen. Es trennten sich die Wege von Klaus Peters, Wlfried Glißmann und Jörg Stadlinger einerseits und Stephan Siemens andererseits. Nach der Trennung schrieben Wilfried Glißmann und Klaus Peters das Buch „Mehr Druck durch mehr Freiheit“. Klaus Peters gründete das Institut „Cogito – Institut für Autonomieforschung“. Darin verfolgte er die Themen weiter: In Zusammenarbeit mit Dieter Sauer beschäftigte er sich mit dem Potential der Befreiung, das in der indirekten Steuerung liegt. Zugleich befasste er sich zusammen mit Andreas Krause mit der Tendenz der sogenannten „interessierten“ Selbstgefährdung. Sie ergibt sich aus der indirekten Steuerung, da die Beschäftigten wie Unternehmer handeln sollen. Daher bestehe die Gefahr, dass sie im Verfolg ihrer unternehmerischen Interessen ihre Gesundheit vernachlässigten.

Dagegen befasste sich Stephan Siemens mit dem Zusammenhang zwischen indirekter Steuerung und der Instrumentalisierung von Gruppenprozessen durch die Unternehmensleitung. Dafür analysierte er sozialtechnologische Mechanismen, die im Rahmen der indirekten Steuerung genutzt werden. Er gründete 2009 die Initiative „Meine Zeit ist mein Leben“ 2009. In ihr arbeitete er mit Martina Frenzel, Eva Bockenheimer und Daniel Göcht zusammen. Inhaltlich befasste er sich mit dem Zusammenhang von indirekter Steuerung mit Burnout, mit unkontrolliert verlängerten Arbeitszeiten und mit Führungstheorien. Mit Martina Frenzel schrieb er die Broschüre „Burnout – eine Folge der neuen Organisation der Arbeit“ und das Buch „Das unternehmerische Wir“.

Beispiele aus der Literatur

Chester Barnard, The Functions of the Executive, Cambridge, Massachusetts, 1938. Neuauflage 1968. Chester Barnard ist berühmt für seine „Gleichgewichtsthese“: Anstrengung für das Unternehmen und Entlohnung (in ihren auch „nicht-monetären Formen“) müssen im Gleichgewicht sein. Für Barnard gehören nicht die Beschäftigten zu den Unternehmen, sondern nur deren Aktivitäten. (Das hat durchaus Auswirkungen. Ein Unternehmen ist z. B. nicht verpflichtet, einem Menschen, der Vollzeit für dieses Unternehmen arbeitet, auch so zu bezahlen, dass dieser Mensch davon leben kann.)

Kurt Lewin, Feldtheorie in den Sozialwissenschaften. Ausgewählte theoretische Schriften. Bern, 2012. Dieser Band enthält Schriften, die in den Jahren 1939 bis 1947 veröffentlicht wurden. Lewin behandelt Fragen der Sozialtechnologie: Was ist eine Gruppe? Wie kann man Menschen steuern? Eine Gruppe wird als „Kräftefeld“ bestimmt. Darin sollen sich Anforderungen von Außen und die Kräfte der Mitglöieder der Gruppe die Waage halten. Sonst kann sich die Gruppe nicht halten.  Wie lassen sich Gleichgewichts=unter anderem zur Frage, was eine Gruppe ist, zur Frage, wie man Menschen steuern kann, und wie Er behandelt auch die Frage: Wie lassen sich die Gleichgewichtsüberlegungen zur Steigerung der Produktivität der Teams und Gruppen nutzen.

Raoul Schindler, Grundprinzipien der Psychodynamik in der Gruppe. 1957, Psyche, Heft 5, S. 308 – 314,  Aus der Psychodynamik der Gruppe leitet Schindler die Positionen in der Gruppe her: „Führer“, „Fachmann“, „Mitglied“ und „Prügelknabe“. Damit erklärt er sich die Machtverteilung in der Gruppe. Wenn man das weiterdenkt: In einem Unternehmen ist die Machtverteilung vorausgesetzt. Denn das Team oder die Gruppe ist ein „Kräftefeld“. Daher ist die Position des „Führers“ diejenige, die die Anforderungen des Unternehmens in die Gruppe spiegelt. Die Position des „Prügelknaben“ dagegen bringt die Grenzen der Belastbarkeit der Mitglieder der Gruppe zum Ausdruck.

Herbert Simon, Administrative Behavior. A Study of Decision-Making Processes in Administrative Organiszations. New York, 1945 erstmals veröffentlicht, seither sehr häufig aufgelegt. Simon befasst sich mit der Frage, wie und wo Entscheidungen in einem Unternehmen fallen. Entscheidungen sind von Voraussetzungen, sogenannten Prämissen, abhängig sind. Wer also die Prämissen, bestimmt, bestimmt mittelbar die Entscheidungen. Das ermöglicht die Vorstellung vom sogenannten „Handlungsspielraum“. Dieser wird von den Unternehmensleitungen bestimmt. Dreh- und Angelpunkt dieser Überlegungen ist die Theorie der „bounded rationality“, der beschränkten Rationalität. Die Rationalität wird beschränkt durch die Prämissen und den Ort, an dem die Entscheidungen getroffen werden. (Dabei bleibt offen, wer oder was die „unbeschränkte Rationalität“ innehat, vertritt, oder bedeutet, so dass die Beschränktheit beurteilt werden könnte. Denn der Begriff beschränkter Rationalität setzt ja wohl ein solches Kriterium voraus.)

Michel Crozier, Der bürokratische Circulus vitiosus und das Problem des Wandels. In: Bürokratische Organisation. Herausgegeben von Renate Mayntz. Köln, 1968. S. 277 – 288. Behandelt werden die Auswirkungen von Krisen. Sie rütteln das gewohnte Kräftegleichgewicht in den Gruppen durch. Sie führen zu autoritären Strukturen in den Gruppen. Solche Krisen sind nach Crozier wichtig. In der Industrie sind sie in Form von Reorganisationen, in Behörden in „Überarbeitungskrisen“, Beispiele.

Peter Blau, Die Dynamik bürokratischer Strukturen. In: In: Bürokratische Organisation. Herausgegeben von Renate Mayntz. Köln, 1968. S, 310 – 325. Störungen können als Mittel zur Anpassung der Beschäftigten an „Organisationsnotwendigkeiten“ genutzt werden.