Die Begriffe „Belastung“ und „Beanspruchung“
Der Begriff „Psychische Belastungen“ stammt aus der Arbeitswissenschaft. Er wird dort anders verwendet als in der Alltagssprache. Im Alltag sprechen wir von Belastungen im Allgemeinen als für die Kolleginnen und Kollegen negative Erscheinungen. Das ist in der Arbeitswissenschaft anders. Da bezeichnet eine „Belastung“ eine neutrale Anforderung an die Kolleginnen und Kollegen als körperliche und / oder psychische Wesen. Auf eine solche neutrale Anforderung reagieren die menschlichen Individuen unterschiedlich. Der Begriff der „Beanspruchung“ soll diese Verschiedenheit bezeichnen.
Ein Beispiel für den Unterschied: Wenn ich beispielsweise regelmäßig ein Gewicht heben muss, dann ist das eine objektive „Belastung“. Wenn ich jung, stark und gelenkig bin, dann werde ich aus dieser Sichtweise von dieser „Belastung“ anders „beansprucht“, als wenn ich um die 60 Jahre alt bin, die Körperkräfte nachlassen und die Gelenke altersbedingt steifer werden. Auf diese Weise wird zwischen der „Belastung“ und der „Beanspruchung“ unterschieden.
Die Schwierigkeit der Erfassung „psychischer Belastungen“
Bei Gewichten scheint es verhältnismäßig einfach, die Belastung „objektiv“ festzustellen und zu messen. Daher gelingt es leicht, zwischen „Belastung“ und „Beanspruchung“ zu unterscheiden. Bei psychischen Belastungen dagegen gilt dies als schwierig bis unmöglich. Denn die psychische Belastung – so behauptet man – ist als solche nicht zu erfassen. Daher pflegt man durch einen Fragebogen die Beanspruchung abzufragen, um sich an ein Maß für die Belastung anzunähern. Die Grundidee ist: Je mehr Kolleginnen und Kollegen sich beansprucht fühlen, umso objektiv größer die Belastung.
Dieses Vorgehen ist aus zwei Gründen bedenklich:
- Sie setzt voraus, dass sich die psychischen Belastungen gleichmäßig in psychische Beanspruchungen umsetzen, sich also gleichmäßig auf die Kolleginnen und Kollegen verteilen. Das trifft nicht zu.
- Sie setzt voraus, dass die psychischen Beanspruchungen als solche bewusst wären. Auch das ist nicht immer richtig.
Auf diese Weise ist es also schwerlich möglich, an ein „objektives Maß“ psychischer Belastungen heranzukommen.
Ein Maß für psychische Belastungen ist …
Aber das ist auch nicht nötig. Denn es gibt u.E. ein objektives Maß für psychische Belastung: die Gruppenspannung. (Wir haben in der Rubrik Teamprozesse dargestellt, wie die Unternehmerfunktionen an Teams übertragen werden und welche Auswirkungen das auf die Beschäftigten hat. Daher ist dies auch beim Thema psychische Belastungen von zentraler Bedeutung).
Die Gruppe wird in der Gruppendynamik als ein Kräftefeld verstanden, indem sich die äußeren Anforderungen und die Kräfte begegnen, die die Gruppenmitglieder der Gruppe zur Verfügung stellen. Die Gruppe existiert solange, wie diese Kräfte sich im Gleichgewicht befinden. Ein Gleichgewicht der Kräfte sagt nichts über die Stärke der Kräfte aus. Solange die Kräfte gleich stark sind und sich also im Gleichgewicht befinden, ist es gleichgültig wie stark sie sind.
… die Gruppenspannung
Dennoch spielt es eine Rolle, wie stark die Kräfte sind, die hier wirken. Und dafür gibt es auch ein Maß, nämlich die Gruppenspannung. Je stärker die Kräfte, die im Kräftefeld der Gruppe wirksam sind, desto größer ist die Gruppenspannung. Da die Unternehmen – angeleitet von den Unternehmensberatungen und der Arbeits- und Organisationspsychologie – seit geraumer Zeit den Druck auf die Teams erhöhen wächst auch die Gruppenspannung. Die Gruppenspannung ist also eine psychische Belastung der Mitglieder der Gruppe.
Die Beanspruchung durch die Gruppenspannung …
Die Gruppenspannung äußert sich in den Beziehungen der Mitglieder der Gruppe. Das bedeutet auch: Sie wirkt sich nicht auf alle Mitglieder der Gruppe gleich stark aus. Im Extremfall lösen sich Gruppenspannungen dadurch, dass ein Mitglied aus der Gruppe ausgeschlossen wird. Wir sprechen im Alltag von Mobbing. Dann äußert sich die psychische Belastung der Gruppenmitglieder, also die Gruppenspannung, an einem Mitglied der Gruppe. Nur ein Gruppenmitglied scheint betroffen zu sein, nämlich das Mitglied, das die Funktion des „Sündenbocks“ erfüllt, wie Kurt Lewin das nennt.
…äußert sich in der Beanspruchung eines Mitglieds der Gruppe …
Alle Gruppenmitglieder sind objektiv gleichermaßen „belastet“ von der Gruppenspannung. Aber alle Mitglieder außer einem sind nicht „beansprucht“, weil sie sich an einem Mitglied abreagieren, dem Mobbingopfer. Das Mobbingopfer erscheint als das Problem, oder scheint ein Problem zu haben. Hinter diesem Problem verbirgt sich aber eine zu hohe Gruppenspannung, also eine „Belastung“ der gesamten Gruppe, die aber als „Beanspruchung“ nicht sichtbar wird. Die psychische Belastung resultiert aus der Belastung der persönlichen Beziehungen im Team mit dem unternehmerischen Zweck. Da die Aufgaben immer größer werden, bzw. die Ressourcen immer geringer werden, wächst die Gruppenspannung in dem Sinne objektiv.
… und in der unbewussten emotionalen Erschöpfung aller Gruppenmittglieder
Dass die psychischen Belastungen nicht bewusstwerden, bedeutet nicht, dass es sie nicht gibt. Die Gruppenspannung äußert sich als Belastung der Beziehungen der Gruppenmitglieder auch dann, wenn sie den Gruppenmitgliedern nicht bewusst ist. Und sie äußert sich selbst dann, wenn die Gruppenmitglieder in der Lage sind, sich an einem Gruppenmitglied abzureagieren. Die Form, in der sich die Gruppenspannung äußert, ist die emotionalen Erschöpfung der Gruppenmitglieder, die den Mitgliedern nicht als solche bewusst wird. Emotionale Erschöpfung ist der Kern des Prozesses, der als Burnout bezeichnet wird. Deswegen wird hier im Weiteren von Burnout als der Auswirkung der psychischen Belastung gesprochen. Die zunehmende Gruppenspannung führt zu emotionaler Erschöpfung und damit zu einer Tendenz zu Burnout.