Ein Ausdruck der indirekten Steuerung sind auch neue Management-Konzepte. Diese Konzepte zielen auf einen doppelten Effekt ab.
A. Das Schaffen und Verändern von „Umwelten“
Zunächst geht es um die Einrichtung von „Umwelten“. Auf sie müssen die Kolleginnen und Kollegen in den organisierten Einheiten reagieren. Diese „Umwelten“ erscheinen als unternehmensinterne „Märkte“. Die organisierten Einheiten müssen sich auf diesen unternehmensinternen Märkten behaupten. Dadurch können die Unternehmen darauf verzichten, dass Führungskräfte direkte Anweisungen geben. Es scheinen die internen „Märkte“ Anforderungen stellen, die für die Kolleginnen und Kollegen den Einsatz aller Ressourcen (und vielleicht auch etwas mehr) verlangen. Die Unternehmen sprechen in diesem Fall vom „Gehen der Extrameile“. Die Arbeits- und Organisationspsychologie spricht von „extra role behavior“, also von einem Verhalten, das außerhalb der Rolle für das Unternehmen zusätzlich zur Verfügung steht.
„Kanäle“ öffnen
Das Schaffen solcher „Umwelten“ hat zwei Seiten:
Zum einen geht es um die Öffnung von „Kanälen“, durch die Kolleginnen und Kollegen mit Anforderungen angesprochen werden können. Dafür kommen viele Absender in Frage: Kunden, Lieferanten, andere organisierte Einheiten im selben Unternehmen, andere Kolleginnen und Kollegen. Aber auch Vorgesetzte können plötzlich neue Aufträge und andere Störungen „einstreuen“. Kolleginnen und Kollegen können durch Profile im Social Intranet auf sich aufmerksam machen. Damit können sie sich als Experten für bestimmte Fragen darstellen. Dadurch schaffen sie Anknüpfungspunkte dafür, dass Kolleginnen und Kollegen ihnen Zusatzaufgaben stellen, die nebenbei zu bearbeiten sind.
Informationen durch die Kanäle ermöglichen
Zum anderen sollen diese „Kanäle“ Informationen aus der „Umwelt“ transportieren. Dabei handelt es nur dann um Informationen, wenn sie das Verhalten der Kolleginnen und Kollegen verändern. Wichtig ist, dass die Informationen nichts miteinander zu tun zu haben scheinen. Schließlich kommen sie aus unterschiedlichen „Kanälen“, von unterschiedlichen Absendern. So gelingt es, die Kolleginnen und Kollegen mit teils widersprüchlichen, teils überlastenden Anforderungen zu konfrontieren. Die Anforderungen an die einzelnen Kolleginnen und Kollegen sind in ihrer Gesamtheit im wahrsten Sinne des Wortes unkontrollierbar. Denn es hat niemand mehr den Überblick, was den Einzelnen insgesamt abverlangt wird. Von den Führungskräften können die Kolleginnen und Kollegen daher kaum Hilfe oder Entlastung erwarten.
„Gelegenheiten schaffen“
Die „Umwelten“ bleiben aber auch nicht stabil. Im Gegenteil: Die Führungskräfte haben die Aufgabe, die „Umwelten“ immer wieder verändern. Denn dadurch sind die Kolleginnen und Kollegen gehalten, ihre Arbeit immer wieder zu bearbeiten und weiter zu entwickeln. Diesen Vorgang bezeichnet man als „Gelegenheiten schaffen“. Die Führungskräfte haben die Aufgabe, immer wieder „Gelegenheiten dafür zu schaffen“, dass die Kolleginnen und Kollegen ihre neuen produktiven Fähigkeiten für das Unternehmen einsetzen dürfen, können und müssen.
B. Bewusste Verhaltensveränderungen herbeiführen
Andererseits versuchen die Unternehmen, die Kolleginnen und Kollegen zu einer bewussten Verhaltensveränderung zu bewegen. Dafür fördern sie das „unternehmerische Denken“. Dieses Denken stellt man sich in Anschluss an Schumpeter als eine „produktive Zerstörung“ vor. „Das Bessere ist der Feind des Guten“, so dass eine permanente Optimierung der gemeinsamen Arbeit verlangt wird. Um das zu erreichen, muss der Interessengegensatz zwischen den Kolleginnen und Kollegen und den Unternehmen in den Hintergrund treten. Die Interessen der Kolleginnen und Kollegen, so behauptet man, seien weitgehend dieselben wie die der Unternehmen. Das geht so weit, dass die Kolleginnen und Kollegen untereinander Gesinnungsschnüffelei im Dienst ihres Unternehmens betreiben sollen.
„Vision und Mission“
Für diese bewusste Form der Beeinflussung, die die Veränderung der „Umwelt“ begleitet, wird eine „Vision“ gebildet. Diese „Vision“ ist Ausdruck der gesellschaftlichen Funktion des Unternehmens im Rahmen der gesellschaftlichen Arbeitsteilung. Daher besteht die Möglichkeit für die Kolleginnen und Kollegen, sich mit der „Vision“ zu identifizieren. Zugleich ermöglicht es eine „Vision“, verschiedene Interessen durch eine ziemlich allgemeine und unverbindliche Formulierung als vereinbar erscheinen lassen.
Der Vision folgt eine „Mission“. Die Mission formuliert unter anderem ein Leitbild für die Kolleginnen und Kollegen. Ein solches Leitbild hält die Erwartungen fest, denen die Beschäftigten genügen wollen und sollen. Dieses Leitbild dient nicht nur der Orientierung für die individuellen Kolleginnen und Kollegen. Es ist auch ein Maßstab, an dem die Kolleginnen und Kollegen einander messen. Es soll zu einer sozialen Realität im Umgang der Kolleginnen und Kollegen untereinander werden. An der Mission sollen sich auch die Kunden orientieren können, so dass die Kolleginnen und Kollegen sich nicht nur in der Zusammenarbeit, sondern auch in Marktfähigkeit an der Mission messen lassen müssen. Es handelt sich also bei der Mission nicht nur um den Versuch, die Erwartungen an die Kolleginnen und Kollegen auf den Begriff zu bringen. Die Erwartungen dienen zugleich der Unterordnung der Kolleginnen und Kollegen unter ihre Funktion, unter ihren Beruf und unter ihr Unternehmen.
Beispiele
Ein extremes Beispiel sind die sogenannten „Markenbotschafter“. Sie übernehmen neben ihrer Arbeit für das Unternehmen Marketing-Funktionen im Netz. Weder erhalten sie dafür eine Anerkennung in der Form der Bezahlung noch geschieht diese Tätigkeit in der Arbeitszeit. Denn sie ist ja „freiwillig“. Andere weniger extreme Beispiele verlangen von Kolleginnen und Kollegen aus der Sachbearbeitung den Verkauf der firmeneigenen Produkte in der Freizeit im Freundeskreis.
Der widersprüchliche Charakter von Vision und Mission wird darin deutlich. Einerseits formulieren die Unternehmen den gesellschaftlichen Sinn der Arbeit der Kolleginnen und Kollegen und den Stellenwert in der gesellschaftlichen Arbeitsteilung. Die Kolleginnen und Kollegen können sich auf diese Weise in ihrer Arbeit mit der Arbeitsteilung auseinandersetzen. Andererseits nutzen die Unternehmen die Formulierung des gesellschaftlichen Sinns, um soziale Prozesse der gegenseitigen Unterordnung der Kolleginnen und Kollegen unter ihre berufliche Tätigkeit und unter das Unternehmen zu organisieren.