Unter Gruppendynamik versteht man zunächst die sozialen Prozesse, die sich gesetzmäßig zwischen Mitgliedern von Gruppen abspielen. Dies gilt auch für die Gruppendynamik im Unternehmen. Sie richten sich nach den Bedingungen, unter denen die Gruppenmitglieder zusammentreffen. Teams und Einheiten in den Unternehmen werden im Folgenden als Gruppen betrachtet. Wir hatten bereits im Menu „Umwelten“ beschrieben, dass sich das Team sozialtechnisch betrachtet als ein Kräftefeld darstellt. In diesem Feld begegnen
die Anforderungen des —- den Kräften der Teammitglieder
Unternehmens
d.h.
die Kräfte der „äußeren Umwelt“ —- den Kräften der „inneren Umwelt“
Das Team besteht in der sozialtechnischen Betrachtungsweise aus den Beziehungen der Mitglieder, nicht etwa aus den Mitgliedern selbst. (Im Alltag würde man vielleicht sagen, dass ein Team aus Mitgliedern besteht. Aber für die sozialtechnische Beeinflussung der Teamprozesse ist es nützlich, dass sie nicht als von den Teammitgliedern bestimmt angesehen werden, sondern umgekehrt. Im Folgenden nutzen wir die Theorie von Kurz Lewin und seinen Nachfolgern als Quelle.) Was sich zwischen den Teammitgliedern abspielt ist Ausdruck des Kräfteverhältnisses zwischen “äußerer“ und „innerer Umwelt“. Das Team existiert in dem Sinne dann weiter, wenn die Kräfte der „äußeren Umwelt“ und die Kräfte der „inneren Umwelt“ im Gleichgewicht sind. Das Gleichgewicht der Kräfte ist also der Ausgangspunkt der Betrachtung.
„Die Selbstregulation der Prozesse“
Die aktuellen Teamprozesse bilden ab, was die Teammitglieder tun, um das Kräftegleichgewicht zustande zu bringen. Doch was passiert, wenn die äußere Umwelt sich ändert? Und wenn die Anforderungen seitens des Unternehmens erhöht werden? Kurt Lewin sagt: In gewissen Grenzen gestalten sich die Prozesse „von selbst“ so, dass das Team bestehen bleibt. Er spricht daher von „Selbstregulation der Prozesse“. Ein Beispiel: Was passiert, wenn in einem Team eine Person fehlt? Dann spielen sich die Beziehungen unter den Teammitgliedern so ein und sie entwickeln ihre Zusammenarbeit so weiter, dass sie das Fehlen dieser Person kompensieren. Kurt Lewin formuliert die Konsequenz so: Das „Aktionsniveau“ des Teams bleibt erhalten. Er spricht dabei von einer „Spielbreite“, innerhalb der das oben beschriebene Gleichgewicht der Kräfte aufrechterhalten bleibt.
Indem man der Gruppe Existenz zuschreibt, kann man von demselben Aktionsniveau sprechen. In Wirklichkeit verändern die Kolleginnen und Kollegen ihre Art zu arbeiten, um dasselbe „Aktionsniveau der Gruppe“ mit einer Person weniger zu erreichen. Diese Veränderung verschwindet jedoch. Denn man spricht von Fortsetzung des Bisherigen, weil man auf der „Ebene“ der Gruppe spricht.
In der Diskussion um Teamarbeit erscheint diese Aufrechterhaltung des Aktionsniveaus trotz verändertem Verhaltens als „Spielbreite“ oder auch als so genannter Handlungsspielraum. Der „Handlungsspielraum“ bezeichnet die Bandbreite der Handlungen der Teammitglieder, die innerhalb der Selbstregulation der Prozesse möglich sind.
Die Beeinflussung von Teamprozessen
An dieser Stelle kommt nun eine zweite Bedeutung der Gruppendynamik im Unternehmen zur Geltung. Unter Gruppendynamik versteht man auch die Fähigkeit, die Gruppenprozesse zu beeinflussen. In diesem Fall versucht man, die Gesetze der Gruppendynamik auf Gruppen anzuwenden, die es in Wirklichkeit gibt. Da die Teammitglieder in wirklichen Gruppen zusammenarbeiten, haben sie in der Regel ein Interesse, dass das eigene Team zusammenbleibt. Denn die Teammitglieder haben sich – oft mit nicht geringem Aufwand – aufeinander eingestellt. Dieses Interesse nutzen die Arbeitgeber in der Regel, indem sie kleine Zusatzaufgaben in die Arbeit „einstreuen“. Sie verlassen sich mit Recht darauf, dass die Selbstregulationsmechanismen in den Teams wirken. Diese bewirken, dass die Teams nebenher Zusatzaufgaben mit erledigt.
Parallel werden – ebenfalls über die „Spielbreite“ der Selbstregulation vermittelt – die Teams ausgedünnt. Die Teams bearbeiten in diesen Fällen ihre Arbeit mehr oder weniger wie von selbst so, dass sie diese Zusatzaufgaben und die Arbeit der fehlenden Mitglieder mit erledigen. (Im Abschnitt über Teamentwicklung werden andere Formen der Anhebung des „Aktionsniveaus“ behandelt.)
Die Abbildung der „äußeren Umwelt“ in der Gruppe
Wenn die Unternehmensleitung auf diese Weise die Anforderungen schleichend erhöht, dann wirkt sich diese Gruppendynamik im Unternehmen auf die Beziehungen in der Gruppe aus. Die „Gruppenspannung“ steigt an. Im Team repräsentieren Im Team repräsentieren bestimmte Gruppenmitglieder die wachsenden Anforderungen des Unternehmens. Solche Mitglieder nehmen in der Gruppe eine informelle Führungsfunktion wahr Sie bilden innerhalb der Gruppe die „äußere Umwelt“ – das Unternehmen – ab.
Nach einer Theorie der Gruppendynamik bilden Gruppen ihre Umwelt in den eigenen Reihen ab. Auf diese Weise beschäftigt sich die Gruppe in den eigenen Reihen mit der Umwelt und grenzt sich ab. Ist der Druck von außen oder sind die Veränderungen in der Umwelt des Teams groß genug, so bedarf ein Team der Führung. Dann werden ein Mitglied oder abwechselnd verschiedene Mitglieder von der Gruppe in die Führungsrolle gedrängt. (Die Wahrnehmung der informellen Führungsfunktion mag also eine persönliche Sache eines narzisstischen Individuums sein. Aber das muss nicht sein. Eine Führungsfunktion ist in jedem Fall notwendig.)
Die Abbildung der „inneren Umwelt“ in der Gruppe
Aber auch die „innere Umwelt“ (die individuellen Interessen der Team-Mitglieder) wird im Team abgebildet. Die Gruppenmitglieder sondern unbewusst ein Mitglied aus, das die Grenzen der Belastbarkeit der Gruppenmitglieder zum Ausdruck bringt. Meist bleibt diese Person dauerhaft in dieser Rolle. Dieses Mitglied äußert dementsprechend immer wieder Probleme mit den Anforderungen des Unternehmens an die Gruppe oder der Gruppe an ihre Mitglieder. Manager neigen dazu, von „Lowperformern“ zu sprechen. Damit individualisieren sie eine Gruppenfunktion. In diesem Sinne ist ein „Lowperformer“ nicht jemand, der oder die wenig leistet, sondern jemand, der oder die eine Gruppenfunktion wahrnimmt: Er oder sie bringt in der Gruppe zum Ausdruck, dass eine systematische Überforderung der Gruppenmitglieder durch die Anforderungen des Unternehmens vorliegt.
Die Gruppenspannung äußert sich in Konflikten und Mobbing
Mit zunehmendem Druck äußert sich die Gruppenspannung in Konflikten in den Teams, die als „private“ oder „persönliche“ Konflikte erscheinen. Dabei sind Konflikte nach Auffassung der Arbeits- und Organisationspsychologie Anpassungserscheinungen an Veränderungen und in dem Sinne notwendig. Aber aufgrund der Zunahme der Gruppenspannungen entwickeln sich in den Teams Dauerkonflikte, in denen sich wenig zu bewegen scheint. Denn mit einem Nachlassen der Anforderungen des Unternehmens ist nicht zu rechnen.
Das wirft die Frage auf, ob man erkennen kann, dass ein Team trotz der genannten Mechanismen überfordert ist. Kurt Lewin beantwortet diese Frage folgendermaßen: Wenn ein Team überfordert ist, leistet es zunächst „Widerstand“ gegen eine Veränderung seines Aktionsniveaus. Die Kolleginnen und Kollegen rücken enger zusammen, um es trotz Überforderung zu schaffen. Wenn es sich dann zeigt, dass das Geforderte beim besten Willen doch nicht zu schaffen ist, sondern die Teammitglieder eine Person ausgesondert, die Schuld daran ist, dass „wir“ es nicht schaffen. Dieses ausgesonderte Mitglied muss als „Sündenbock“ herhalten, damit die Überforderung durch die „äußere“ Umwelt nicht als solche sichtbar wird. Die Tatsache, dass das Team als ein Kräftefeld betrachtet und behandelt wird, bleibt den Mitgliedern des Teams unbewusst. Kurt Lewin spricht von „Sündenbock“. Heutzutage spricht man in solchen Fällen von „Mobbing“.
Perspektivwechsel
Der Ausdruck „Gruppendynamik“ (das gilt auch für die Gruppendynamik im Unternehmen) beschreibt (wie der Ausdruck „Gruppendruck“) das Handeln der Kolleginnen und Kollegen in den Gruppen aus der Perspektive eines Menschen, der dieses Handeln entweder beobachtet oder beeinflussen will. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler wollen das Handeln in Gruppen erforschen und daher beobachten. Führungskräfte und Unternehmensleitungen wollen über die Gruppendynamik das Handeln der Teammitglieder beeinflussen. In beiden Fällen handelt es sich nicht um den Standpunkt der Individuen, die Teammitglieder sind. Das Handeln der Teammitglieder erscheint so ein Gegenstand. Diesen Gegenstand wollen die Wissenschaftler erforschen, die Unternehmensleitungen steuern. Das bleibt den Kolleginnen und Kollegen in der Regel unbewusst – und soll es auch bleiben. Denn durch diese Mechanismen steuern die Unternehmensleitungen das Verhalten der Kolleginnen und Kollegen indirekt.
Die Handlungsfähigkeit der Kolleginnen und Kollegen über die Gruppendynamik in Wirklichkeit eingeschränkt – zugunsten der Unternehmen. Das zeigt sich insbesondere daran, dass die Mitglieder der Gruppe die Dynamik in ihrer Gruppe nicht gemeinsam beherrschen (können) sollen.