Produktivkraftentwicklung

Voraussetzung der indirekten Steuerung der Unternehmen ist die Entwicklung der Produktivkraft der gesellschaftlichen Arbeit in den letzten Jahrzehnten. Die Kolleginnen und Kollegen haben neue produktive Fähigkeiten: Sie bearbeiten ihre Arbeit gemeinsam in der Arbeit. (In der Theorie von Marx und Engels ist die Reflexivität des Produzierens der Menschen ein Bestandteil des Begriffs der Produktion (MEW Bd. 3, S. 21). Empirisch stammt der älteste – mir bekannte – Befund dieser Tatsache aus dem Jahre 1936.) Die Bearbeitung der gemeinsamen Arbeit bezieht sich auch auf die Zusammenarbeit in organisatorischen Einheiten wie Teams.

Die Unbewusstheit der neuen produktiven Fähigkeiten

Die Bearbeitung der Arbeit kommt darin zum Ausdruck, dass sich die Kolleginnen und Kollegen mit dem gesellschaftlichen Sinn ihrer Arbeit auseinandersetzen. Sie tun das nicht nur in privaten oder zivilgesellschaftlichen Initiativen, sondern in der Arbeit selbst. Der Sinn der gemeinsamen Arbeit ergibt sich aus dem gesellschaftlichen Stellenwert ihrer Arbeit im Rahmen der gesellschaftlichen Arbeitsteilung. Findet diese Auseinandersetzung innerhalb kapitalistischer Unternehmen statt, so ist durch die ökonomische Form das Sinnkriterium vorgegeben. Nachhaltig profitables Arbeiten ist gesellschaftlich sinnvoll. Handelt es sich um Einrichtungen und Behörden, so gilt aufgrund der kapitalistischen Produktionsweise das umgekehrte Kriterium: Nachhaltige Kosteneinsparung ist sinnvoll. (Gegenwärtig stehen in der Pflege gegenwärtig Kosteneinsparung und Profitabilität im Gegensatz zueinander. Es gewinnt die Profitabilität. Die Pflege ist als kapitalistisch organisierte gesellschaftliche Leistung teurer als früher. Früher war sie eine sozial finanzierte Leistung. Sie war gesellschaftlich billiger, brachte aber niemandem Profite.) Die Kolleginnen und Kollegen bringen aufgrund der gewachsenen Produktivität mit geringerer Arbeitszeit die für das gesellschaftliche Leben erforderlichen Produkte hervor. Das führt gegenwärtig zu einer anhaltenden Überproduktion sowohl auf dem Weltmarkt wie auf dem deutschen Markt. Auf diese Überproduktion reagieren die Unternehmen unterschiedlich. Sie versuchen entweder möglichst billig Standardprodukte zu produzieren – auch durch Lohnsenkungen. Oder sie wollen durch möglichst originelle Innovationen Märkte dominieren oder Marktnischen finden. Einerseits verändern sich dadurch Produkte und Dienstleistungen sehr schnell. Andererseits wächst der Druck auf die Kosten – und so auch die Lohnkosten – enorm.

… bringen die Kolleginnen und Kollegen unter Druck …

Durch die gewachsene Produktivität geraten die Menschen, um deren Produktivität es sich in erster Linie handelt, unter Druck geraten. Dieser Druck äußert sich in einer Differenzierung der Kolleginnen und Kollegen in den Unternehmen und auf dem Arbeitsmarkt. Es gibt Kernbelegschaften und –beschäftigtengruppen, Randbelegschaften, prekäre Beschäftigte und Arbeitslose, die gegeneinander ausgespielt werden. Diese Differenzierung schadet allen diesen Gruppen gleichermaßen. Daraus ergibt sich die Gefahr einer Instrumentalisierung der Kernbelegschaften. Da sie innerhalb dieser Differenzierung am besten dastehen, wenden sie sich gegen die Interessen der anderen Beschäftigtengruppen. Das widerspricht letztlich ihren eigenen Interessen. Nicht nur kann jede und jeder in den Rand abgedrängt werden. Die Differenzierung schwächt auch die Möglichkeiten, sich in der Auseinandersetzung mit den Unternehmen zu behaupten. Aus dieser Differenzierung ergibt sich ein Drang, „dazugehören“ zu wollen, ein Sog in die Unternehmen und in die Kernbelegschaften hinein. Dieser Sog wird von den Unternehmen genutzt, um die Bedingungen der Zusammenarbeit in ihrem Interesse zu gestalten. Mit der indirekten Steuerung wird dieser Sog umgesetzt in eine Form der Arbeitsorganisation. Sie führt dazu, dass die Kolleginnen und Kollegen die Unternehmensinteressen gegenüber ihren eigenen Interessen höher gewichten. Denn die Zugehörigkeit zum Unternehmen erscheint als die Sicherheit vor sozialem Abstieg und Armut (vor allem im Alter).

…und verschieben die politischen Gewichte.

Gesamtgesellschaftlich führt die Unbewusstheit der Produktivkraftentwicklung zu einer Verschiebung der politischen Gewichte zugunsten der kapitalistischen Unternehmen. Denn einerseits wollen die Kolleginnen und Kollegen möglichst den Kernbelegschaften angehören. Andererseits führt die indirekte Steuerung dazu, dass sich die Beschäftigten selbst und sich gegenseitig dem Unternehmen unterordnen. Diese beiden Auswirkungen ermöglichen es den Unternehmen, als Vertreter der Interessen aller Mitglieder der Gesellschaft aufzutreten. Das Gegengewicht, die Kolleginnen und Kollegen, erscheinen als den Unternehmen subsumiert, als untergeordnet. So kommt es, dass die Unternehmen als Vertreter der gesamtgesellschaftlichen Interessen erscheinen. In Wirklichkeit umfassen die Interessen der Unternehmen nicht die Menschheitsinteressen mit. Sie sind noch nicht einmal mit ihnen wirklich kompatibel. Aber die Interessen der Unternehmen entsprechen auch nicht denen der Kolleginnen und Kollegen Doch auch die Interessen der Kolleginnen und Kollegen scheinen mit den Menschheitsinteressen zu kollidieren. Dieser Schein entsteht, weil die Kolleginnen und Kollegen doppelt den Unternehmen untergeordnet bleiben. Einerseits verteidigen sie ihren Arbeitsplatz aus dem Bedürfnis nach sozialer Sicherheit heraus. Andererseits ordnen sie sich im Rahmen der indirekten Steuerung selbst und gegenseitig dem Unternehmen unter. Durch diese Unterordnung erscheinen die Interessen der Unternehmen zugleich als Interessen der Beschäftigten. So kommt es, dass die Kolleginnen und Kollegen gegen Klimaschutz oder gegen Forderungen der ökologischen Bewegungen mobilisiert werden können. Doch ist die Arbeitskraft der Kolleginnen und Kollegen von den Unternehmen nur gekauft. Der Interessengegensatz der Beschäftigten gegen die Unternehmen bleibt bestehen. Das ist schon in der Tendenz, die Belegschaften zu spalten und die Löhne zu drücken, sichtbar. Der Interessengegensatz betrifft aber auch das Verhältnis zu den Menschheitsproblemen, an deren Lösung die Unternehmen als solche kein Interesse haben – im Unterschied zu den Kolleginnen und Kollegen.