Die Führungskräfte hatten früher die Aufgabe, zu wissen, zu sagen und durchzusetzen, was zu tun ist. Überdies kontrollieren sie die Arbeitstätigkeit und darauf fußend die Arbeitsergebnisse. Sie hatten auch Sanktionen anzuwenden, wenn die Kolleginnen und Kollegen die geforderte Leistung nicht bringen. Sie mussten daher die Arbeit und die Arbeitsabläufe „von der Pike“ auf kennen. Auch spezifizierten sie die allgemeinen Ziele des Unternehmens auf ihre Einheiten spezifizieren, planen und durchsetzen.
Notwendige Änderung des Verhaltens der Führungskräfte
Das trug zur Disziplin der Kolleginnen und Kollegen bei. Ab Mitte der 70er galt dieses Verhalten spätestens als mehr und mehr unproduktiv im Sinne des Kapitals. (Produktiv im Sinne des Kapitals ist, was Mehrwert produziert. Diese Art der Führung entwickelte sich zu einer Schranke der Gewinnentwicklung der Unternehmen. Die Unternehmen und die Unternehmensberater begannen, die Aufgabe der Führungskräfte neu zu durchdenken. Dabei spielte es eine wesentliche Rolle, dass die Führungskräfte ihr Verhalten an die gewachsenen Fähigkeiten der Kolleginnen und Kollegen anpassen. Man bezeichnete diese Fähigkeiten als „Reife“, wobei zwischen aufgabenbezogener Reife und sozialer Reife unterschieden wurde. Die Entwicklung verlief vom Anweisungen geben, über Anreize und Mitbestimmung zur Delegation von Aufgaben, die die Kolleginnen und Kollegen selbständig zu erledigen hatten.
Die Führung wandert ins Team
Diese Entwicklung führte zu der Überlegung: Kann man nicht nur Aufgabe delegieren, sondern die Führung selbst? Seit 2000 entwickelten Unternehmensberater Überlegungen an, wie die Unternehmen die Führungsarbeit in die Teams und die unternehmerischen Einheiten verlegen können. Häufig wurden ganze Führungsebenen eingespart. Die Führung als Tätigkeit der Führungskräfte verwandelte sich in die Führungsarbeit, also ein Bestandteil der Arbeit eines jeden Kollegen, einer jeden Kollegin. Die Führungskräfte hatten dafür zu sorgen, dass in den Teams Führung von selbst entsteht, oder wie das im Fremdwort heißt, „emergiert“.
Was sollen Führungskräfte heute tun?
Die Rolle der Führungskräfte besteht nun darin, marktähnliche „Umwelten“ zu schaffen, in denen die Kolleginnen und Kollegen sich orientieren müssen und in denen sie sich behaupten müssen. Folgende Maßnahmen sind unter anderem geeignet , solche „Umwelten“ zu schaffen:
- Vergleich der Einheiten und der Teams untereinander
- Termindruck durch Rückrechnen der Zeitplanung vom Auslieferungstermin aus
- Sozialer Druck durch zusätzliche Anforderungen am besten von Seiten von Kolleginnen und Kollegen außerhalb des Teams
- Störungen durch „Einstreuen“ von Zusatzaufgaben oder „dringenden Aufträgen“ von wichtigen Kunden, die nicht eingeplant sind
- Öffnung der Kanäle für Zulieferer und Kunden direkt zu den Kolleginnen und Kollegen
- Druck durch Unübersichtlichkeit der Situation, die sich vor allem aus einer ständigen Veränderung der Rahmenbedingungen ergeben
Die Führungskraft entwickelt sich zum „Coach“. Zugleich sollen sich die Führungskräfte aus ihrer Funktion der Anleitung der Kolleginnen und Kollegen zurückziehen. Sie sollen den Beschäftigten die Entscheidung , was zu tun ist, nicht abnehmen. Denn nur dann, wenn sie sich selbst entscheiden, werden sich die Kolleginnen und Kollegen mit voller Kraft für die Umsetzung ihrer Entscheidungen einsetzen. Also sollte eine Führungskraft nicht helfen, sondern teils „coachen“, teils „moderieren“. Das kann man sehr gut erreichen, indem man Führungskräfte einsetzt, die direkt von der Uni kommen und von der konkreten Arbeit keine Ahnung haben. Solche Führungskräfte sollen zumindest abwechselnd mit erfahrenen Führungskräften eingesetzt werden.
Sprechen über Arbeitsabläufe wird tabu
Führungskräfte sollten deswegen – so heißt es in der Literatur – möglichst wenig über die tatsächlich zu leistenden Arbeiten sprechen. Sie sollen nur über die Bearbeitung, die Verbesserung der Arbeit sprechen. Diese Weiterentwicklung sollte als solche nicht sichtbar werden: Die Unternehmensberater sprechen deswegen von „Veränderung“, von „Change“. Dieser „Change“ ist einfach da. Woher er kommt, das scheint man nicht zu wissen.
Führung sucht Veränderung
Führung sucht Veränderung. Das heißt, die Führungskräfte sollen die Rahmenbedingungen der Arbeit immer wieder verändern. So sollen sie die Kolleginnen und Kollegen dazu bringen, ihre Arbeit und ihre Zusammenarbeit immer wieder zu bearbeiten. Auf diese Weise werden die produktiven Kräfte hervorgelockt, ohne dass dies den Kolleginnen und Kollegen bewusst wird. Viele Interessenvertreter und Beschäftigte sind der Meinung, dass immer wieder eine „neue Sau“ durch das Dorf getrieben wird. Dabei verkennen sie häufig die generelle Tendenz hinter den oft als sinnlos erscheinenden Maßnahmen.