Verschwinden der „Umwelt“

Warum lassen sich die Kolleginnen und Kollegen diese Verlängerung der unentgeltlich angeeigneten Arbeitszeit gefallen? Sie klagen zwar, aber sie bestehen nicht auf ihrem Recht, der Arbeitszeit Grenzen zu setzen. Im Gegenteil scheinen sie die verlängerte Arbeitszeit selbst zu wollen. Wollen sie sie wirklich? Oder scheint das nur so?

Der Beschluss im Team

Beim Nachdenken darüber wird eine bestimmte Seite der indirekten Steuerung sichtbar: Die Instrumentalisierung der sozialen Beziehungen durch den Arbeitgeber entzieht sich der Bewusstheit der Kolleginnen und Kollegen. Wie funktioniert das? Der wesentliche Punkt dabei ist in Reaktion auf die „Umwelt“ ein gemeinsamer Wille des Teams erarbeitet wird. Der kann sich entweder von selbst verstehen. Er kann aber auch als ausdrücklicher Beschluss formulier sein. Wenn ein Beschluss bewusst gefasst wird, ist nur ausgesprochen, was der gemeinsame Wille ist.

Reaktion auf die Umwelt

Durch die Einrichtung der „Umwelt“ bestimmt die Unternehmensführung, auf welche Situation die Teammitglieder reagieren müssen. Die Teammitglieder beschließen, was sie tun wollen, um auf die Veränderung der „Umwelt“ zu reagieren. So heißt es zum Beispiel: Diese Aufgabe wollen wir bis zu dem Zeitpunkt fertigkriegen. Indem die Teammitglieder das beschließen, verwandeln sie die Bedingungen der gesetzten „Umwelt“ in den gemeinsamen Willen der Teammitglieder. Das führt dazu, dass die Kolleginnen und Kollegen nun tun, was sie wollen. Wenn sie sich also fragen, warum sie das tun, so lautet die Antwort: Wir tun es, weil wir es wollen. Ich tue es, weil wir es so beschlossen haben. Sollte kein Beschluss notwendig gewesen sein, so tue ich es, weil man das bei uns so macht… Es scheint also meine freie Tat zu sein, weil ich tue, was wir beschlossen haben.

Nach vorne Schauen

Erst wenn ich mich frage, warum wir das so beschlossen haben, werden mir die „Umweltbedingungen“ wieder bewusst. Erst in der Reflexion auf den Beschluss treten mir die Bedingungen, die zu dem Beschluss geführt haben, wieder vor Augen. Deswegen ist es ein gängiger Grundsatz neuer Managementformen, dass man nach vorne schauen soll. Denn dann fällt einem nicht auf, wie das, was wir wollen, gesteuert wird. Denn wenn wir nur nach vorne schauen, reflektieren wir die Bedingungen unserer Beschlüsse nicht, die wir umsetzen. Also bleiben sie prinzipiell unsichtbar.

Wenn wir aber die Bedingungen nicht rfeflektieren, auf die wir reagieren, dann bleibt es dabei, dass wir tun, was wir wollen. (Das beendet dann die Diskussion. Ein Beispiel: ‚Wir beschließen, dass eine Kollegin oder ein Kollege „böse“ ist. Wir fragen dann nicht mehr weiter: Die Bosheit eines Menschen reicht, um Dinge zu erklären, über die wir nicht weiter nachdenken wollen.) Die Steuerung durch die Unternehmensführung wird uns auf diese Weise nicht sichtbar. Uns fällt nicht auf, wie sich die Unternehmensführung in das, was wir wollen, einnistet. Uns fällt nicht auf, dass wir gegen uns selbst und gegen unsere Kolleginnen und Kollegen durchsetzen, was die Unternehmensleitung will.

 

Die Solidarität wechselt die Seite

Das geht so weit, dass wir von den Kolleginnen und Kollegen „Solidarität“ einfordern, wenn es um den Unternehmenszweck geht – auch dann, wenn sich diese Forderung gegen einzelne Kolleginnen und Kollegen richtet. Die „Solidarität“ wechselt die Seite: Aus einer Stärke der Kolleginnen und Kollegen in der Auseinandersetzung mit der Unternehmensleitung wird sie zu einer Stärke der Unternehmensleitung in der Auseinandersetzung mit den vereinzelten Kolleginnen und Kollegen.

Gemeinsam die Kontrolle gewinnen

Kann man das verhindern, oder wenigstens eingrenzen? Dazu müssen die Kolleginnen und Kollegen diese Mechanismen konkret analysieren, Auf diese Weise kann man die auf die Bedingungen der indirekten Steuerung schließen. Woher kommt es, dass „wir“ das wollen? Weshalb haben wir diese Beschlüsse gefasst? Wieso kommen durch diese Beschlüsse Prozesse zustande, die sich gegen uns selbst richten? Wieso entgleitet uns die Kontrolle über unsere Arbeitszeit? Damit können wir lernen uns gemeinsam auseinanderzusetzen.

  1. Im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungen können wir die Teamanalyse der indirekten Steuerung lernen. Auf diese Weise können wir uns eine Sprache erarbeiten, mit der wir die Prozesse der indirekten Steuerung besprechen können, die auf uns angewendet werden.
  2. Wir können und müssen einzeln, im Team und im Unternehmen unsere wirklich geleistete Arbeitszeit erfassen. Nur so können wir die Kontrolle über unsere Arbeitszeit werlangen.